Testbericht: Siemens Acuris Hörgerät
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Siemens Acuris Test

"Rechtes Ohr an linkes Ohr..."

Ende 2004 hat Siemens ein neues Hörgeräteprojekt vorgestellt, das nun auch tatsächlich lieferbar ist und von Hörgeräteakustikern in Deutschland angepasst wird. Wir haben Acuris auf Herz und Nieren getestet und mit Hörgeräteträgern gesprochen, die erste Geräte am Ohr hatten.

e2e - das kleinste Funksystem der Welt

Hören ist ein Prozess, der nur mit zwei Ohren richtig funktioniert. Seit Jahren ist bekannt, dass nur bei beidseitig funktionierendem Gehör eine gute Verständigung möglich ist. Bisher mussten beidseitig angepasste Hörgeräte jedoch vom Träger immer jeweils getrennt rechts und links eingestellt werden. Nicht nur die Lautstärke musste balanciert werden, auch die Wahl des richtigen Hörprogramms musste abgestimmt werden.

Diesem Problem hat sich Siemens mit e2e (englisch: ear to ear) angenommen. Die Lösung ist eigentlich simpel, jedoch auf engstem Raum realisiert und damit sehr aufwändig: Das rechte und das linke Hörgerät kommunizieren per Funk miteinander. Bis zu fünf mal pro Sekunde gleichen die Hörgeräte ihre Einstellung ab und korrigieren sich bei Bedarf selber.

Die Hörgeräte "talken" über Lautstärke und Programm...

Regelt der Benutzer am rechten Hörgerät die Lautstärke hoch, so muss er am linken Gerät keine Veränderung mehr vornehmen. Acuris/rechts funkt die Veränderung an Acuris/links und sorgt dafür, dass sich das linke Hörgerät auf dieselbe Lautstärke einstellt. Was dabei rechts und links gleich laut ist, stellt der Hörgeräteakustiker in einer Anpasssoftware ein.

Gleiches gilt für die Programmwahl. Egal ob automatisch durch das Gerät gewählt oder manuell durch den Benutzer (per Schalter): Das Gerät auf der anderen Seite folgt der jeweiligen Änderung.

Rückkopplungsmanagement ohne Leistungsverlust

Das leidige Problem Rückkopplung ist auch für Siemens ein wichtiges Thema. Acuris hat ein aktives "Rückkopplungsmanagement". Im Klartext bedeutet das: Acuris versucht, eine Rückkopplung (Pfeifen des Hörgerätes) möglichst schnell zu erkennen und etwas dagegen zu tun. Das Siemens-Hörgerät handelt mit "Antischall", das bedeutet, dass das Pfeifsignal in umgekehrter Form noch einmal hinzu gegeben wird. Original "und Fälschung" löschen sich dabei annähernd aus, das Pfeifen verschwindet.

Die Vorteile dieses Verfahrens: Die Lautstärke des Hörgerätes wird dabei nicht beeinflusst. Außerdem können Hörgeräte "offener" angepasst werden, was für den Träger oft angenehmer ist. Siemens gibt an, dass sich der Stromverbrauch des Hörgerätes dabei kaum erhöht.

Hinter-dem-Ohr und In-dem-Ohr Hörgeräte nebeneinander.

Richtmikros mit 2 oder 3 Mikrofonen

Seit einigen Jahren gibt es von Siemens Hörgeräte mit 3 Mikrofonen. Siemens verspricht sich und seinen Kunden davon, dass in schwierigen Situationen mit viel Störlärm eine bessere Sprachverständlichkeit erreicht werden kann. "TriMic" nennt Siemens dieses System und setzt es in der P-Variante (für mittlere bis starke Hörverluste) ein.

In sehr lauter Umgebung versucht das TriMic-System, die lärmvollen Geräusche auszublenden. Der Hörgeräteträger soll "gerichtet" hören, möglichst nur aus der Richtung des Sprechers, den er verstehen möchte. Das Mikrofonsystem und die Elektronik dahinter versucht, die Störquelle ausfindig zu machen und diese bei beweglichen Quellen auch zu verfolgen.

Wie stark das System verfolgt und absenkt, können erfahrene Hörgeräteakustiker per Anpasssoftware steuern und auf individuelle Bedürfnisse abstimmen.

Programm-Umschaltung

Acuris versucht, Hörsituationen zu klassifizieren und dem Hörgeräteträger automatisch entsprechende Programme zur Verfügung zu stellen. In ruhiger Umgebung soll es automatisch ein anderes Programm wählen als in lärmvoller Akustik. Selbst Musik will Siemens so in der Griff bekommen. Zusätzlich kann der Träger über einen Taster auch selber Einfluss auf die Programmwahl nehmen. Bis zu 3 unterschiedliche Programme können durch den Hörgeräteakustiker individuell eingestellt und in den Geräten abgespeichert werden.

ePocket - alle Einstellungen im Griff

Ein Hörgerät und seine Fernbedienung

Wie ein Pager sieht die Fernbedienung aus, die Siemens in Verbindung mit Acuris anbietet. Auf der schmalen Oberseite des Gerätes werden dem Hörgeräteträger alle aktuellen Informationen über sein Hörgerät angezeigt. Besonders wichtig: Der Batteriestatus, die aktuelle Programmwahl und die Lautstärkeeinstellung. Über dieses kleine Zusatzgerät kann der Hörgeräteträger die Lautstärke und die Programmwahl seiner Hörgeräte aktiv ändern, ohne an das Ohr fassen zu müssen.

Eine komplette Familie - von klein bis groß

Acuris ist nicht nur "ein Hörgerät", sondern eine komplette Hörgerätefamilie. Dabei ist nicht jedes Gerät für jeden sinnvoll und die komplette Vielfalt der oben genannten Features (inkl. der drei Mikrofone) ist meist nur in den Hinter-dem-Ohr-Systemen verfügbar. Diese gibt es in zwei Ausführungen für leichtere und stärkere Hörverluste.

Die Im-Ohr-Systeme gibt es in vier verschiedenen Größenklassen. Je kleiner, desto weniger Schaltoptionen gibt es am Gerät und desto kleiner ist die eingebaute Batterie (höhere Betriebskosten).

Strahlen-Bedenken

Ein Grafik die die Strahlung erklärt

Es funkt, sendet und strahlt rechts und links am Ohr. Zusätzlich gibt's noch Strahlung vom Handy, vom schnurlosen Telefon daheim, vielleicht vom Bluetooth-Headset, von der drahtlosen Übertragung für die Stereoanlage, nicht zu vergessen die ganzen anderen elektromagnetischen Felder, die uns täglich umgeben.

Die Frage muss erlaubt sein: Welche Gefahr geht von einer zusätzlichen Strahlung der Hörgeräte aus? Eine Antwort fällt schwer, aber ein Vergleich kann vielleicht beruhigen: Die meisten Haushaltsgeräte, die Sie täglich umgeben, geben einen deutlich höheren Strahlungswert ab, als diese Hörgeräte mit integriertem Sender. Da die Hörgeräte nur eine sehr kurze Strecke überbrücken sollen, ist die Sendeleistung recht schwach. Siemens verweist in diesem Zusammenhang auch auf den TÜV Rheinland, der e2e-Technologie geprüft und nach ihren Aussagen für risikolos eingestuft hat. Vieles spricht also dafür, dass Angst vor Gefahren durch Funkhörgeräte unbegründet ist.

Was die Zukunft bringt

Wir wollen den Schritt, den Siemens gewagt hat, ausdrücklich loben. Der Ansatz ist interessant und viele Hörgeräteträger werden ihn als nützlich empfinden. Der Abgleich von Lautstärke und Programmeinstellung kann aber bestenfalls ein Anfang sein. Dem Gehör gehen bei der Versorgung mit Hörgeräten einige natürliche Funktionen verloren, weil die Signale, die im Hörzentrum ankommen, nicht mehr natürlich aufeinender abgestimmt sind, sondern von einzelnen technischen Geräten jeweils unterschiedlich bearbeitet wurden. Man spricht von "interauralen Effekten". Genau hier liegt die Chance für zukünftige Entwicklungen: Wenn die Hörtechnik auch die Signalverarbeitung in all ihren Facetten per Funk von rechts nach links koordiniert, dann sind zumindest theoretisch noch deutliche Verbesserungen denkbar. Leider ist dies heute noch Zukunftsmusik.

Fazit

Acuris ist ein Hörgerät, das sich nicht nur technisch in die Spitzengruppe der Hörgerätetechnologie einreiht, sondern auch preislich. Ein besonders kritischer Blick ist also angebracht. Die Technologie, die hinter der Signalverarbeitung steckt, ist hervorragend, aber nicht wirklich bahnbrechend. Wirksame Rückkopplungsunterdrückungen, Situationsbestimmung und automatische Programmzuordnung sowie Mehrprogrammschaltungen gibt es auch von anderen Herstellern. Eine 3-Mikrofon-Technologie ist auch in preiswerteren Systemen von Siemens verfügbar. Was Acuris jedoch einzigartig macht, ist seine Funktechnik. Wer häufig Lautstärke oder Programmwahl an seinen Hörgeräten bedient, der weiß, was für ein "Gefummel" es sein kann, beide Hörgeräte aufeinander abzustimmen. Ganz zu schweigen von den Defiziten, die man erleidet, wenn man die Balance nicht genau trifft.

Insbesondere für Menschen mit Hang zum "häufigen Justieren" kann Auris daher eine wirklich revolutionäre Neuheit sein.

Für die Signalverarbeitung und damit Klang und Verständlichkeit gilt: Hier entscheidet Ihre akustische Tradition, Sie werden um einen Test in gewohnter Umgebung daheim nicht herum kommen. Beurteilen Sie nicht den Eindruck, der spontan beim Akustiker entsteht, sondern geben Sie Ihrem Gehör die Chance, sich ein paar Tage lang an die neue akustische Umgebung zu gewöhnen. Erst dann können Sie entscheiden, ob Acuris (oder ein anderes System) für Sie geeignet ist.

Unsere Gespräche mit Testträgern haben, wie so häufig, ein uneinheitliches Bild ergeben. Es gab mehrere spontan begeisterte Personen, insbesondere wenn sie bisher oft an beiden Hörgeräten manuell einstellen mussten. Einige Personen bemängelten jedoch auch hörbare Nebengeräusche oder recht aggressives Umschaltungsverhalten in bestimmten Situationen. Weder die positiven noch die negativen Äußerungen sollten jedoch verallgemeinert werden, denn letztlich hängt der Hörerfolg bei allen Hörgeräten vom jeweiligen Hörverlust, von der "akustischen Tradition" (was wurde bisher getragen) und nicht zuletzt von den Feinjustierungskünsten des Hörgeräteakustikers ab.

Für uns steht außer Frage: Siemens hat ein interessantes Produkt auf den Markt geworfen. Wer darüber nachdenkt, sich beidseitig Hörgeräte anpassen zu lassen, der sollte einen Test unbedingt ins Auge fassen.

HörShop-News vom 10.03.2005

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Bitte beachten Sie: Fragen zu Hörgeräten und deren Details sowie Eignung können wir Ihnen leider nicht beantworten. Profi für die Beratung, Auswahl und Anpassung neuer Hörgeräte ist Ihr Hörakustiker vor Ort. Er wird Ihnen sicher gerne Auskunft geben.