Hörgeräte, Hörverstärker, Hearables, OTCs – was ist der Unterschied?
Brauche ich bereits ein Hörgerät? Oder will ich lieber erstmal coole Hearables? Reicht mir vielleicht sogar ein einfacher Hörverstärker?
Gerade zu Beginn eines Hörverlustes ist die Entscheidung gar nicht so einfach.
Wir möchten Ihnen einen Überblick mit den Vor- und Nachteilen der einzelnen Möglichkeiten verschaffen. Denn nur eine neutrale Beurteilung bietet einen die Chance, die richtige Entscheidung, basierend auf Ihren individuellen Bedürfnissen, Lebensstilpräferenzen und finanziellen Möglichkeiten zu treffen.
Inhaltsverzeichnis
Hörgeräte
…. sind vollwertige Medizinprodukte, die strengen Regularien und Anforderungen unterliegen, die gewährleisten, dass sie sicher und wirksam sind. In Europa müssen Hörgeräte die Anforderungen der Medizinprodukteverordnung mit folgenden Hauptaspekten erfüllen:
Prüfung und Zertifizierung (Prüfung technischer Leistungen, akustischer Eigenschaften, elektromagnetischer Verträglichkeit und mechanischer Festigkeit)
Klinische Bewertung (Belegung von Vorteilen und Risiken der Geräte)
Qualitätsmanagement (Einhaltung von Normen, Dokumentationen und Rückverfolgbarkeit)
Kennzeichnung und Gebrauchsanweisung
Post-Market-Surveillance (kontinuierliche Überwachung durch Sammlung von Daten, Rückmeldungen, Analysen und die Implementierung von Korrekturmaßnahmen bei Problemen)
Durch die rasante Weiterentwicklung im technischen Bereich werden die regulatorischen Anforderungen kontinuierlich aktualisiert. Dadurch wird auch die Innovationsfähigkeit der Hersteller gefördert.
Hörgeräte sind nur über den professionellen Vertriebsweg wie Hörakustiker oder HNO-Ärzte zu beziehen.
Vorteile von Hörgeräten
Verbesserte Hörfähigkeit: Verstärkung von Klängen und Umgebungsgeräuschen
Besseres Verstehen von Sprache: Klares Verstehen in lauter Umgebung durch gezielte Absenkung von Lärm und Anhebung von Sprache
Personalisierte Anpassung: individuelle Anpassung an den spezifischen Hörverlust und die Vorlieben des Nutzers
Konnektivität: drahtlose Verbindung zu Smartphones, TV, Computer und Co.
Gesundheitsvorteile: durch die verbesserte Hörfähigkeit kann das Risiko von sozialer Isolation, Depression und kognitivem Verfall verringert werden, sofern diese mit einem unbehandelten Hörverlust verbunden sind
Wartung und Pflege: zur Sicherstellung der einwandfreien Funktion sollten die Geräte regelmäßig gereinigt und im Fachgeschäft gewartet werden
Anpassungsphase: es kann etwas Zeit und Geduld erfordern, sich an das Tragen von Hörgeräten zu gewöhnen und eine optimale Einstellung zu finden
Stigma: trotz der Fortschritte im Design kann das Tragen von Hörgeräten für manche Menschen mit einem sozialen Stigma verbunden sein
Hearables
… sind intelligente Ohrhörer, die drahtlose Konnektivität, Sensorik und Computertechnik integrieren. Sie bieten Funktionen, die über das einfache Hören von Audiosignalen hinausgeht.
Vorteile von Hearables
Drahtlose Konnektivität: Bluetooth zur Verbindung mit Smartphones, Computer und Co.
Audio-Wiedergabe: Musik, Podcast und andere Medieninhalte anhören
Kommunikation: Freisprech-Telefonate und Sprachsteuerung
Fitness-Tracking: Sensoren, die biometrische Daten wie Herzfrequenz, Bewegungsdaten, Kalorienverbrauch erfassen und analysieren
Hörunterstützung: Verstärkung von Umgebungsgeräuschen oder Geräuschunterdrückung
Personalisierung: Anpassung von Audioeinstellungen, Erstellung von Hörprofilen
Gesundheitsüberwachung: Überwachung von Körpertemperatur und Sauerstoffsättigung im Blut
Nachteile von Hearables
Akkulaufzeit: die Akkulaufzeit von Hearables ist häufig sehr begrenzt, vor allem bei intensiver Nutzung von Funktionen wie Noise-Cancelling (Geräuschunterdrückung) oder Streaming
Preis: hochwertige Hearables um umfassenden Funktionen können teuer sein
Abhängigkeit von Konnektivität: da viele Funktionen über eine Verbindung zum Smartphone gesteuert werden, können die Hearables in Situationen mit eingeschränkter Verbindung weniger nützlich sein
Gesundheits- und Sicherheitsbedenken: bei längerem und intensivem Gebrauch können Hearables durch das Hören von zu lauter Musik und eine unzureichende Passform Schäden hervorrufen
Komplexität und Technologieabhängigkeit: die Einrichtung, Einstellung und Aufrechterhaltung der Funktionen bzw. Problemlösung setzt ein gutes, technisches Verständnis voraus
Hearables gelten grundsätzlich als Unterhaltungselektronik und werden in der Regel nicht als Medizinprodukt eingestuft.
Hörverstärker
Hörverstärker, die wie klassische Hörgeräte aussehen können, jedoch frei in Drogerien oder im Internet erhältlich sind, nennt man auch PSAP (Personal Sound Amplification Product). Es handelt sich hierbei um ein tragbares, elektronisches Gerät, das Umgebungsgeräusche verstärkt, um das Hören in bestimmten Situationen zu erleichtern.
PSAPs sind nicht für den kontinuierlichen Gebrauch zur Kompensation eines Hörverlustes gedacht, sondern für kurzzeitige Unterstützungen. Beispielsweise beim Fernsehen oder in der Natur zur Vogelbeobachtung. Sie bieten in der Regel keine fortgeschrittene Klangverarbeitungsfunktion wie Geräusch- oder Rückkopplungsunterdrückung. Ihr Aufgabe ist es, Umgebungsgeräusche aufzunehmen und verstärkt ans Ohr weiterzuleiten.
Diese Geräte unterliegen keinerlei Prüfung und Regulierung.
Vorteile von Hörverstärkern
Kostengünstig: Hörverstärker sind sehr günstig
Einfache Handhabung: einfache Bedienung des Gerätes, keine Anpassung oder Einstellung möglich
Nachteile von Hörverstärkern
Begrenzte Technologie und Funktionen: keine Klang- und Anpassungsoptionen, ausschließlich Verstärkungsfunktion
Nicht für Hörverlust geeignet: sie sind nicht für die Behandlung von Hörverlusten konzipiert, sondern für normalhörende Menschen gedacht, die in einzelnen Situationen etwas zusätzliche Verstärkung benötigen.
Nicht maßgeschneidert: es erfolgt keine personalisierte Anpassung an das individuelle Hörprofil des Nutzers
Gesundheitsrisiko: aufgrund der einfachen Technologie und der fehlenden Anpassung ans Hörprofil können Hörverstärker bei falscher oder übermäßiger Verwendung zu Gehörschäden führen
OTC-Hörgeräte
Over-the-Counter-Hörgeräte sind entstanden, um eine Lücke zwischen den Hearables und klassischen Hörgeräten zu schließen. Durch die behördliche Regulierung halten die Geräte Sicherheits- und Qualitätsstandards ein und gelten damit als Medizinprodukt. Sie werden als kostengünstige und bequeme Alternative für Menschen mit leichten bis moderaten Hörverlusten vermarktet.
Zu bedenken gibt es hier allerdings, dass die Bedingungen für OTC-Geräte erst im August 2020 durch die amerikanische Regulierungsbehörde FDA veröffentlicht wurde. Noch gibt es jedoch Schlupflöcher für Hersteller, um diese Regulierung zu umgehen und somit Geräte vermarkten zu können, die den Anforderungen der FDA nicht entsprechen. Nicht jedes OTC-Hörgerät ist daher ein Medizinprodukt – der Name ist nicht geschützt.
Wie sich diese Gerätekategorie, über die momentan gerne und viel gesprochen wird, allerdings in Zukunft durchsetzen wird und ob die europäische Regulierungsbehörde sich anschließt, bleibt abzuwarten.
Grundsätzlich aber erst einmal mehr zu den Vor- als auch Nachteile, die es zu berücksichtigen gilt.
Vorteile von OTC-Hörgeräten:
Einfacher Zugang: Da OTC-Hörgeräte ohne Rezept erhältlich sind, bieten sie Menschen mit leichten Hörverlusten einen schnellen und einfachen Zugang zur Hörverbesserung, ohne auf einen Hörakustiker oder Audiologen angewiesen zu sein.
Kostengünstig: OTC-Hörgeräte sind in der Regel günstiger als herkömmliche Hörgeräte, da sie keine Kosten für Hörtests oder individuelle Anpassungen beinhalten.
Bequeme Selbstanpassung: OTC-Hörgeräte können vom Benutzer selbst angepasst werden. Dadurch entfallen mehrere Fachgeschäftsbesuche für Feineinstellungen, was Zeit und Mühe spart.
Diskretes Design: Viele OTC-Hörgeräte sind so konzipiert, dass sie kaum als Hörgerät zu erkennen sind. Das Design, das sehr dem von Bluetooth-Kopfhörern entspricht, sorgt für eine höhere Akzeptanz bei der Nutzung.
Nachteile von OTC-Hörgeräten:
Begrenzte Anpassungsmöglichkeiten: OTC-Hörgeräte können nicht individuell auf die spezifischen Höranforderungen des Benutzers zugeschnitten werden. Dies kann zu suboptimaler Leistung und Komfort führen, da sie nicht auf die individuellen Hörmuster und anatomische Gegebenheiten des Benutzers abgestimmt sind.
Fehlende professionelle Beratung: OTC-Hörgeräte kommen oft ohne die Expertise eines Hörakustikers oder Audiologen aus. Professionelle Beratung kann jedoch wichtig sein, um den Hörverlust genau zu diagnostizieren und die beste Hörlösung zu finden.
Potenzielle Sicherheitsrisiken: Ohne eine angemessene Überwachung durch Fachleute könnten Benutzer Schwierigkeiten haben, das Hörgerät richtig einzusetzen oder zu warten, was zu unerwünschten Folgen führen könnte.
Eingeschränkte Leistungsfähigkeit: OTC-Hörgeräte mögen für leichte Hörverluste ausreichen, aber bei schwereren Hörverlusten könnten sie nicht die notwendige Verstärkung und Klangqualität bieten, die herkömmliche Hörgeräte bieten können.
Fazit
Jedes der aufgeführten Geräte hat eine Zielgruppe, für die es genau das richtige ist.
Empfehlenswert ist es, bei der Feststellung einer beginnenden Schwerhörigkeit immer eine Diagnose einzuholen. Machen Sie daher einen Termin bei einem Hörakustiker oder Ihrem HNO-Arzt aus. Dort wird anhand einer umfangreichen Gehörprüfung das Ausmaß der Einschränkung festgestellt und Sie können alle Ihre Fragen besprechen. Mit diesem Wissen können Sie anschließend in Ruhe überlegen, wie Sie weiter vorgehen wollen.
Autoreninfo
Andrea Fox
Als Hörakustikmeisterin mit über 20 Jahren Berufserfahrung verfolgt und hinterfragt Andrea intensiv die ständigen Weiterentwicklungen in der Hörgerätebranche. Im Hörshop-Team ist sie für die Aktualität der Testberichte verantwortlich und sorgt dafür, dass unsere Leser stets bestmöglich und umfassend informiert sind. Durch ihre tägliche Arbeit im Fachgeschäft versteht sie die Bedürfnisse hörbeeinträchtigter Menschen. Dieses Verständnis ermöglicht es ihr, genau zu erkennen, worauf es bei Hörgeräten ankommt und wie der Weg zum Wunschgerät optimal gestaltet werden kann.