
Im Oktober dieses Jahres hat Oticon, ein Unternehmen der Demant-Gruppe, mit dem Zeal 1 ein Hörgerät vorgestellt, das aktuell kaum Konkurrenz kennt. Das Gerät wird als „Unseen-Wunder“ beworben – ein Im-Ohr-Modell, das dank seiner außergewöhnlich kompakten Bauform nahezu verschwindet und dennoch Akku- sowie Bluetooth-Technologie integriert. Diese Kombination aus minimalistischem Design und moderner Ausstattung wirkt auf den ersten Blick tatsächlich beeindruckend. Gleichzeitig stellt sich die Frage: Wie viel echte technische Innovation steckt hinter diesem Versprechen – und wo beginnt jenes Marketing, das stärker auf Emotionen als auf nüchterne Leistungsdaten setzt?
Wir haben das Oticon Zeal genauer unter die Luper genommen und erste Praxiserfahrungen gesammelt.
Die Signalverarbeitung basiert auf der bewährten Sirius-Plattform, die bereits im Oticon Intent zum Einsatz kommt. Über den Link gelangen Sie auf unsere Technikseite. Dort können Sie die Besonderheiten der Signalverarbeitung nachlesen.
Inhaltsverzeichnis
Um die tatsächliche Größe des Oticon Zeal einzuordnen, lohnt sich ein direkter Blick auf vergleichbare Hörgeräte. Im folgenden Bild sehen Sie das Zeal neben einem technisch ähnlichen Modul-Modell von Signia sowie einem maßgefertigten Im-Ohr-Hörgerät von Starkey. Dieser Vergleich zeigt sehr anschaulich, wie kompakt das Zeal im Verhältnis zu aktuellen Alternativen ausfällt und welcher Unterschied sich allein durch die Bauform ergibt.

von links nach rechts: Signia Active, Oticon Zeal, maßangefertigte Starkey Omega AI
Das Oticon Zeal ist deutlich keiner als die beiden Konkurrenz-Produkte mit vergleichbarer Leistung.
Alle Geräte werden über Kontaktladung gespeist, eine sorgfältige, regelmäßige Reinigung ist daher unerlässlich, um reibungslose Ladungen zu gewährleisten.
Wie unsichtbar ein „Unseen“-Hörgerät tatsächlich wirkt, hängt nicht allein vom Gerät selbst ab, sondern vor allem von der individuellen Ohrform. Das Oticon Zeal kann in manchen Ohren nahezu verschwinden – in anderen bleibt es leicht sichtbar oder steht minimal hervor. Die folgenden Beispiele zeigen, wie unterschiedlich das Gerät je nach Gehörgangsgröße, Ohrmuschelform und Hautfarbton wirken kann und geben Ihnen ein realistisches Bild davon, was Sie persönlich erwarten dürfen.

Wir suchen weiter nach dem perfekten Ohr, in dem das Oticon Zeal tatsächlich zum „Unseen-Wunder“ wird. Doch auch in dieser Passform bleibt es optisch durchaus ansprechend. Zu beachten ist jedoch: Je weiter das Gerät aus dem Gehörgang hervorsteht, desto mehr nimmt die natürliche Richtwirkung der Ohrmuschel ab. Das kann den Klangeindruck leicht verändern – ein Punkt, den wir bei der Anpassung gemeinsam im Blick behalten.
Die 4D-Sensortechnologie ist ein Kernbestandteil des Oticon Intent – und fehlt beim Zeal aus Platzgründen. Um die Bedeutung dieser Technik nachvollziehbar zu machen, lohnt ein Blick auf ihre Funktionsweise im Alltag.
Wie die 4D-Sensorik normalerweise arbeitet
Das System analysiert vier Faktoren gleichzeitig:
Aus diesen Informationen baut das System ein Modell Ihrer Hörabsicht. Beispielsweise erkennt es, ob Sie in einer ruhigen Unterhaltung stehen, gerade in einer Gruppe pendeln oder in einem lauten Café versuchen, eine bestimmte Stimme herauszufiltern.
Was der Wegfall dieser Technologie beim Zeal bedeutet
Ohne diese vier Sensoren muss sich das Zeal auf klassische, weniger situationsfeinfühlige Parameter verlassen. Das wirkt sich vor allem in Situationen aus, in denen viele akustische Eindrücke gleichzeitig auftreten:
Während das Oticon Intent fast intuitiv mitbekommt, „wo Sie hinhören möchten“, muss das Zeal häufiger mit einer neutraleren, vorsichtigeren Verstärkung arbeiten. Es kann Sprache weiterhin gut hervorheben, aber dynamische, sehr wechselhafte Gesprächssituationen sind damit etwas weniger komfortabel.
Für den Großteil der alltäglichen Hörmomente ist das unproblematisch. Der Unterschied wird vor allem dann spürbar, wenn viele Stimmen, wechselnde Gesprächspartner oder körpersprachlich gesteuerte Hörintentionen ins Spiel kommen.
Um die Unterschiede zwischen Oticon Zeal und Oticon Intent, die beide mit dem Sirius-Chip arbeiten, besser einzuordnen, lohnt sich ein Blick auf drei Funktionen, die beim Intent eine Rolle spielen, beim Zeal jedoch entfallen – ohne dass dies automatisch einen Nachteil für Sie bedeutet.
Hinter-dem-Ohr-Geräte wie das Oticon Intent verwenden eine Funktion namens „Virtual Outer Ear“, um die akustischen Eigenschaften der Ohrmuschel künstlich nachzubilden. Dies soll einen natürlicheren Klangeindruck erzeugen, weil der Schallzugang dem realen Ohr näherkommt. Beim Oticon Zeal entfällt diese Funktion – aber aus gutem Grund: Das Mikrofon sitzt hier direkt in der Ohrmuschel und nutzt die natürliche Anatomie bereits vollständig. Die reale Ohrmuschel übernimmt die Arbeit, die bei BTE-Geräten digital simuliert werden muss.
Folge: Der Wegfall der Funktion hat für Sie keinerlei Nachteile, weil das Zeal die natürliche Form ohnehin nutzt und damit bereits sehr nah an einem authentischen Höreindruck arbeitet.
Das Intent setzt verschiedene Mechanismen ein, um Störgeräusche zu reduzieren, die an den frei liegenden Mikrofonen entstehen – etwa durch Haare, Brillenbügel, Wind oder leichte Berührungen. Diese Funktion spielt vor allem bei BTE-Geräten eine Rolle, da deren Mikrofone exponiert auf der Ohrmuschel liegen.
Beim Oticon Zeal ist die Mikrofonöffnung geschützter im Gehörgang platziert. Dadurch treten mechanische Störgeräusche von vornherein deutlich seltener auf.
Folge: Auch hier bedeutet der Wegfall keine Einschränkung für Sie, da die Bauform des Zeal die Mikrofone effektiv vor den störenden Einflüssen schützt, für die diese Funktion ursprünglich entwickelt wurde.
Das Oticon Intent arbeitet mit einer Mehrmikrofontechnologie, die es ermöglicht, bestimmte Richtcharakteristiken zu steuern und so zum Beispiel Sprache von vorne gezielt hervorzuheben. Diese Technik benötigt jedoch mindestens zwei Mikrofone.
Das Zeal besitzt – wie die meisten Im-Ohr-Hörgeräte – nur ein Mikrofon. Eine künstliche Richtwirkung ist daher technisch nicht möglich. Gleichzeitig übernimmt die Ohrmuschel selbst bereits eine natürliche Richtfunktion, indem sie Schall je nach Richtung unterschiedlich verstärkt oder abschwächt.
Folge: Auch wenn das Zeal keine aktive Direktionalität steuert, profitieren Sie weiterhin von einer natürlichen Richtwirkung über das eigene Ohr. In vielen Alltagssituationen ist das völlig ausreichend – lediglich in sehr komplexen Gesprächssituationen ist das Intent hier im Vorteil, da es gezielter in bestimmte Richtungen „hineinverstärken“ kann.
Bis auf die genannten Ausnahmen profitieren Sie beim Oticon Zeal von sämtlichen Funktionen, die auch das Intent stark machen: moderne KI-gestützten Signalverarbeitung, automatische Situationserkennung, Störgeräuschreduktion sowie Streaming- und Komfortfunktionen. Technisch erhalten Sie damit nahezu den gesamten Leistungsumfang der aktuellen Plattform – lediglich einige Zusatzfunktionen entfallen bauformbedingt.
Eine Akkulaufzeit von rund 20 Stunden bedeutet im Alltag, dass Sie das Oticon Zeal problemlos einen gesamten Tag tragen können, ohne zwischendurch nachladen zu müssen. Für typische Nutzung – also Gespräche, Arbeitstag, Einkaufen, Fernsehen und moderate Streaming-Phasen – reicht die Kapazität sicher aus. Für die meisten Tage kommen Sie damit bequem bis zum Abend und über Nacht laden Sie das Gerät ganz normal wieder auf.
Wie sich das Oticon Zeal 1 in puncto Akku-Kapazität im Vergleich zu anderen Im-Ohr-Akku-Geräten schlägt, erfahren Sie ausführlich in unserem großen Herstellervergleich.
Bei intensiverer Nutzung – etwa mehreren Stunden Bluetooth-Streaming oder langen Aufenthalten in lauten Umgebungen – verkürzt sich die Laufzeit von 20 Stunden etwas. In der Praxis bedeutet das: Statt der vollen 20 Stunden können es je nach Belastung und Alter des Akkus auch mal nur etwa 17 Stunden sein. Für normale Tage reicht das weiterhin gut aus, doch an besonders anspruchsvollen Tagen kann es sinnvoll sein, die mobile Ladeoption griffbereit zu haben.

Das Oticon Zeal 1 ist vielseitig vernetzbar: Es unterstützt Made for iPhone (MFi), nutzt auf Android-Geräten das ASHA-Protokoll und unterstützt bereits LE Audio und Auracast. Dadurch ergeben sich je nach Smartphone unterschiedliche Möglichkeiten:

Tipp für iPhone-Nutzer
iPhones mit USB-C-Anschluss können über den kleinen LE-Audio-Adapter ebenfalls auf den verbesserten LE-Audio-Klang aufrüsten. Damit profitieren auch Apple-Nutzer von der neuen, hochwertigeren Streaming-Technologie.
Das Oticon Zeal kommt ohne klassischen Taster aus, bietet dafür aber eine überraschend präzise Tipp-Steuerung. Sie funktioniert im Vergleich zu ähnlichen Lösungen anderer Hersteller bemerkenswert zuverlässig. Welche Aufgabe das Tippen übernehmen soll, legen Sie selbst fest – etwa Lautstärkeanpassung oder Programmwechsel. Zusätzlich lässt sich damit auch ein Telefonat annehmen oder beenden sowie eine Auracast-Verbindung starten oder stoppen.

Über die App können Sie ganz einfach Lautstärke, Klangcharakter und Hörprogramme anpassen. Zudem lassen sich die Hörgeräte bei Bedarf online durch Ihren Akustiker nachjustieren. Auch den Akkustand und weitere Statusinformationen können Sie dort jederzeit abrufen.

Wenn Sie nicht ständig auf Ihr Smartphone angewiesen sein möchten, können Sie die Lautstärke auch bequem über die handliche Fernbedienung steuern. Darüber hinaus erhalten Sie Zugriff auf alle speziellen Hörprogramme, die Sie gemeinsam mit Ihrem Hörakustiker im Gerät hinterlegt haben – zum Beispiel das Programm „myMusic“, das das Musikhören noch natürlicher und voller wirken lässt.
Dank der Bluetooth-Funktion lassen sich die Oticon Zeal mit sämtlichem herstellereigenem Zubehör koppeln. Eine Übersicht finden Sie hier. Für jedes Zubehör können in der Anpasssoftware sogar separate Einstellungen hinterlegt werden: Wie hoch darf die Streaminglautstärke maximal ausfallen? Sollen die Hörgerätemikrofone während des Streamings automatisch heruntergeregelt werden? Auch die Klangqualität lässt sich individuell anpassen. Für Musik empfiehlt sich zusätzlich die PowerBass-Funktion, die dem Klang mehr Fülle verleiht.
Über Auracast können Sie zudem universelles Broadcast-Zubehör wie den Easy-LE-Adapter oder vergleichbare Sender nutzen.

Das Oticon Zeal spricht nicht alle, aber doch sehr bestimmte Nutzergruppen besonders gut an. Seine Stärken liegen weniger in maximaler Verstärkung oder umfassender Sensorik, sondern in einer gelungenen Kombination aus moderner Technik, hoher Diskretion und komfortablem Streaming. Für viele Menschen kann genau das den entscheidenden Unterschied im Alltag machen. Die folgenden Zielgruppen profitieren in besonderem Maße vom Konzept des Zeal:
Nicht für alle Hörsituationen und Hörbedürfnisse ist das Oticon Zeal die optimale Wahl. Wie jede besonders kompakte Bauform bringt auch dieses Gerät bestimmte Grenzen mit sich, die je nach Hörprofil, Anatomie und Alltagsansprüchen deutlicher oder weniger deutlich ins Gewicht fallen. Bevor Sie sich für das Zeal entscheiden, lohnt daher ein Blick auf jene Bereiche, in denen andere Hörgerätetypen klar im Vorteil sind.
Das Oticon Zeal startete ausschließlich im Premium-Segment – die Bezeichnung „Zeal 1“ deutet jedoch bereits an, dass dies vermutlich nur der Anfang ist. Alles spricht dafür, dass Oticon mittelfristig weitere Varianten – etwa ein „Zeal 2“ oder „Zeal 3“ – nachreichen wird, um das Portfolio nach unten hin abzurunden und unterschiedliche Preisklassen zu bedienen.

Die Herausforderung, einen voll alltagstauglichen Akku in ein so kleines Im-Ohr-Gehäuse zu integrieren, wurde erstmals im vergangenen Jahr von Signia im Silk Charge&Go erfolgreich gelöst.

Auch die Platzierung einer Antenne in der Ohrmuschel ist keine völlige Neuheit – Starkey setzt diese Technik bereits seit einiger Zeit in seinen maßangefertigen Im-Ohr-Hörgeräten ein.
Oticon geht nun jedoch einen Schritt weiter und vereint beide Ansätze erstmals in einem einzigen Gerät.
Damit markiert das Oticon Zeal einen bemerkenswerten technologischen und gestalterischen Entwicklungsschritt: ein Hörgerät, das moderne Ausstattung, Akku-Komfort und hohe Unauffälligkeit miteinander verbindet. Gerade für Nutzerinnen und Nutzer mit leichten bis mittleren Hörbedürfnissen, die Diskretion und zuverlässiges Streaming schätzen, kann das Zeal ein echter Fortschritt sein.
Dennoch bleibt klar: Es ist kein universeller Allrounder für jede Hörsituation und jeden Verstärkungsbedarf.
Testbericht: Oticon Zeal 1
Herstellerseite: Oticon
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